Nach all den bundesweiten Horrorgeschichten hat es nun auch uns getroffen:
Die notdiensthabende Tierärztin ist körperlich angegangen worden. Ist das der Anfang vom Ende? Wo führt uns die turbulente Notdienstsituation hin?
Zurück zum Anfang des Falles: eine Katze wird am 27.12. gegen 22.00 Uhr aufgrund eines möglichen Fremdkörpers im Magen-Darm-Trakt vorgestellt. Bereits nach 20 Minuten Wartezeit wird unsere tiermedizinische Fachangestellte wüst beschimpft. Sie weist die Besitzerin darauf hin, nicht in dieser Art mit ihr zu kommunizieren. Dennoch: das hat gesessen. Unsere Kollegin ist von einem solchen Umgang sprachlos, geschockt und gekränkt. In Anwesenheit der dazu stoßenden Tierärztin ist der Umgangston jedoch prompt wieder freundlich.
Medizinisch geht alles seinen Weg – der Fremdkörper wird diagnostiziert und der Patient chirurgisch versorgt. Im Laufe der Versorgung des Patienten offenbart sich unsere TFA der Tierärztin, erzählt ihr von dem Gespräch. Was sollten sie nun tun? Der Patient leidet – es muss eine Versorgung stattfinden. Um ein Hausverbot auszusprechen ist es nun zu spät, der Patient ist bereits auf dem OP- Tisch. Wir entscheiden im Verlauf der Therapie ein Gespräch mit der Besitzerin zu suchen.
Am Folgetag zeigt sich die Besitzerin freundlich und bedankt sich mehrfach. Die berechtigte Skepsis der Kolleginnen bleibt: war das ein Ausrutscher? Wo wird das hinführen? Wir lassen sich die Gemüter beruhigen, das Gespräch mit der Geschäftsführung ist für Anfang des Jahres angesetzt. Die stationäre Therapie wird fortgesetzt. Leider war der Fremdkörper nicht das einzige Problem, davon hat sich der Kater zügig erholt. Die chronische Nierenerkrankung erfordert einige Tage stationären Aufenthalt, um die Prognose möglicherweise langfristig zu verbessern.
In all den Tagen erfolgten interne Gespräche und natürlich Gespräche mit der Besitzerin. Immer sehr vorsichtig, keiner möchte, dass sich der Vorfall wiederholt. Die Gesprächsform ist sachlich, bislang ist der Umgang vertretbar. Während der Abholung am 31.12. hat die Besitzerin ihre Emotionen im Griff – Ihre Gesprächsform ist gewöhnungsbedürftig. Damit können wir umgehen, solange keine Beleidigungen vorkommen. Die Gespräche mit dieser Besitzerin bleiben im Hinterkopf. Eine Mischung aus latenter Aggressivität und freundlicher Dankbarkeit. Die Kolleginnen denken an den Patienten: wir konnten ihn fürs Erste retten, alles andere rutscht erstmal weiter nach hinten. Für die Kolleginnen geht der Dienst weiter.
Der Notdienst: überlaufen. Das Telefon steht keine 5 Minuten still.
Ein Viertel der Gespräche dreht sich um Termine für das neue Jahr, Floh- und Zeckenprophylaxe, Anfragen, ob wir wirklich die Notdienstgebühr abrechnen. Das zweite Viertel handelt sich darum, ob die chronische Lahmheit heute vorgestellt werden muss oder ob die Dermatologin für eine Beratung im Hause sei – zusammengefasst also Fragen, die die Kolleginnen am Telefon einfach nicht beantworten können oder gar absurd sind. Bei einem weiteren Viertel der Anrufe werden, z.B. Fragen zur Dosierung von Dauermedikamenten gestellt. Optimalerweise von Tieren, die wir nicht kennen am Silvestertag um 18:45 Uhr.
Schlussendlich das letzte Viertel der Anrufer. Auf die kommt es an, sie haben ein Tier in Not und brauchen dringend Hilfe. Für sie müssen wir erreichbar sein. Leider ist die Leitung häufig mit den anderen 75% der Anrufer belegt und lässt keinen Raum für akute und lebensbedrohliche Notfälle.
Alle diese Gespräche werden geführt, während man versucht ein Tier zu behandeln, ein Kunde vor einem auf die Behandlung wartet oder weitere Telefone klingeln – man fragt sich: ist das der lebensbedrohliche Notfall, den ich gerade nicht bedienen kann? Das zerrt an einem, das kostet Kraft. Man hat kaum Zeit dem verpassten Anruf hinterher zu trauern. Es sind noch viele Patienten zu versorgen, es ist ein Marathon zwischen ambulanter Behandlung, Intensivpatienten auf der Station, Telefongesprächen und E-Mail schreibenden, die sich nicht vorstellen können, warum man im Notdienst nicht prompt antworten kann. Es ist 20.00 Uhr. Die Schicht ist schon lange vorbei, die nächsten Kolleginnen haben bereits übernommen.
Während ein erstickender Hund mit einer Kehlkopflähmung zügig mit vereinten Kräften aus dem Auto, vorbei an einem weiteren Besitzer, in die Klinik getragen wird, fragt dieser, ob es noch lange dauert, er hätte nicht mehr so viel Zeit. Sein eigener Hund zeigt sich fröhlich und aufmerksam mit einer kaum wahrnehmbaren Lahmheit. Macht nichts, denkt man sich, sie wissen es vielleicht nicht besser.
Der erstickende Hund ist versorgt und stabilisiert, kann aber erstmal nicht allein bleiben – es bleibt also eine Kollegin bei ihm. Eine weitere wichtige Kraft für die ambulante Behandlung ist für die nächsten 2 Stunden sicher nicht mehr abrufbar. Sie schafft es eben noch Ihre Familie zu informieren, dass es nicht zum Silvesteressen nach Hause schafft. Mit etwas Glück wird sie um Mitternacht anstoßen können.
Währenddessen sind bereits mehrere Patienten mit Lappalien behandelt worden:
die minimale Lahmheit, die unbedingt eine Röntgenuntersuchung möchte. Und wenn wir schon dabei sein, bitte noch eine große Blutuntersuchung und einen vollständigen Bauchultraschall, der Magen grummelt in letzter Zeit etwas. Der Hinweis, dass grundsätzliche Sachen am Tag und bestenfalls beim betreuenden Haustierarzt gemacht werden sollte, wird mit brummenden Kommentaren erwidert.
Danach wartet schon der Hund mit Durchfall, ein bekannter Allergiker. Der Besitzer möchte das nun mal in der Klinik abklären lassen. Der Besitzer habe ja heute frei, daher hätte er Zeit für eine Abklärung. Bestenfalls bringt er noch einen Ordner voller Befunde der letzten 5 Tierärzte mit, die diesen Patienten bereits behandelt haben und durch den ständigen Tierarztwechsel nicht zu Ende diagnostizieren konnten. Er kann nicht verstehen, dass es in der Medizin nicht nur schwarz und weiß gibt, das kann ja wohl nicht so schwer sein eine Diagnose zu stellen! Erhöhte Gebühren? Kann ja auch nicht sein, er hatte schon zum Ende der Sprechstunde am Morgen angerufen und sei ja nicht seine Schuld, dass er erst so spät kommen konnte. Dass die Internistin gerade nicht im Haus ist und ihren freien Tag dafür nicht unterbricht, stößt auf bedingtes Verständnis.
Dann ist noch der Junghund, der mit wackelndem Zahn vorgestellt wird. Ein 6 Monate alter kleiner Terrier – von Milchzähnen beim Hund haben die Besitzer noch nie gehört, es sei schließlich ihr erster Hund. Sich zuvor mit gängigen und grundsätzlichen Hundethemen zu beschäftigen war ihnen bisher nicht in den Sinn gekommen. Zur entstandenen Rechnung über die Notdienstgebühr und einer klinischen Untersuchung gibt es noch Klärungsbedarf – die diensthabende Kollegin habe schließlich nur geguckt und sonst nichts gemacht. Macht nichts, denkt man sich. Sie wissen es vielleicht nicht besser.
Den ganzen Tag sind die Kolleginnen auf den Beinen
Ein verdienter Kaffee lässt schon Stunden auf sich warten. Doch keiner geht nach Hause zu seinen Liebsten bevor nicht alle Patienten adäquat versorgt sind. Nicht nur alle Therapiepläne müssen dauerhaft auf ihre Gültigkeit hinterfragt und umgesetzt werden. Auch brauchen alle Patienten einen individuellen Moment, mit Streicheleinheiten und Pflege. Ja, auch die Seele darf nicht vernachlässigt werden. All das passiert im Hintergrund – der wartende Kunde im Auto oder an der Rezeption kann das nicht wahrnehmen. Man schluckt unfreundliche und unfaire Fragen herunter – der nächste Patient ist nett, dankbar, wertschätzend. Das entspannt die Gesamtsituation.
Die nachtdiensthabenden Kolleginnen haben keine Zeit auf die Uhr zu gucken. Sie versuchen bestmöglich die Fragen nach Wartezeiten, Kostenvoranschlägen für Kastrationen und Terminen zu ignorieren. Die meisten Besitzer heute sind nett, viele davon kennen wir bereits seit Jahren, sie sind ausgesprochen dankbar und erinnern uns daran, warum wir so viel für unsere Patienten opfern. Doch der eine „Pöbler“, der keinen Gedanken daran verschwendet, wie lange die behandelnde Kollegin schon im Dienst ist, geschweige denn wann sie das letzte Mal gegessen oder getrunken hat, kostet zu viel Kraft. Macht nichts, denkt man sich, sie wissen es vielleicht nicht besser.
Die Silvesternacht geht so weiter
Schwerkranke Tiere werden eingeliefert, wir hoffen, dass die stationären Kapazitäten eine Versorgung von allen Patienten hergeben. Das Gefühl jemanden abweisen zu müssen, möchte man niemandem zumuten – doch in dem Moment ist es das fairste für den Patienten. Der Tierarzt muss seinem Patienten gerecht werden.
Während die krampfende Katze mit einer Intoxikation versorgt wird, hören die Kolleginnen ein dezentes Feuerwerk. Beide Kolleginnen schauen sich ernüchternd an: frohes Neues. Die ganze Aufmerksamkeit gilt dieser jungen Katze, die jeden Moment versterben könnte.
Die Nacht war hart, für alle. Die nächste Schicht beginnt. Schon am Morgen steht das Telefon nicht still. Notfälle kündigen sich an, möchten aber erst zu ende frühstücken bevor sie losfahren. Sie haben allerdings nur zwischen 11 und 12 Uhr Zeit für die Notfallbehandlung, da sie danach Gäste empfangen. Die Nachfrage, ob sich dann um einen tatsächlich lebensbedrohlichen Notfall handelt, führt zu unfreundlichen Vorwürfen und ein plötzliches Auflegen. Macht nichts, sie wissen es vielleicht nicht besser.
Man hält sich fest an die netten Kunden
Sie suchten mehr als berechtigt den Notdienst auf, sind mehr als dankbar, dass man ihren Liebling versorgt hat und bringen einem Wertschätzung, Freundlichkeit und Verständnis entgegen. Immer mehr Patienten sind versichert, das entspannt die Menschen und damit auch uns – wir können uns vollkommen auf das Wohlergehen unserer Patienten konzentrieren und können alles Notwendige dafür tun. Das füllt die Energietanks wieder etwas auf, das ist der Grund, warum man all das auf sich nimmt. Ein kurzer Schauer, gemischt mit etwas Wehmut überfliegt einen. Was wäre bloß ohne Notdienst aus ihnen geworden.
Nebenbei ruft unsere latent aggressive Besitzerin zum 8. Mal an, sie habe Fotos geschickt und wartet ungeduldig vor ihrem Rechner auf eine Antwort. Die diensthabende Tierärztin rät ihr in den Notdienst zu kommen, eine Einschätzung nur anhand der Fotos ist nicht möglich. Dem Kater geht es so weit gut, sie könne bloß keinen geeigneten „Leckschutz“ gewährleisten. Wie es sich später herausstellen sollte, war die OP-Wunde nicht beeinträchtigt, die Wundheilung verlief, wie erwartet, problemlos.
Vor Ort hat die Besitzerin sich im Griff, ist nicht unfreundlich. Im Gegensatz zu ihrem Kater, der nicht vorhatte, sich wehrlos einer Wundkontrolle zu unterziehen. Zu ihrem eigenen Schutz und um den Patienten nicht zu verletzen, wird der Kater fachmännisch gehändelt.
Dann kommt es zum Showdown:
die Besitzerin mischt sich ein. Unsere diensthabende Tierärztin erklärt ihr, dass das Verletzungsrisiko bei einer bösen Katze zu groß sei und wir uns und die Katze schützen müssen. Die Besitzerin wird über den Behandlungstisch hinweg handgreiflich. Es folgt ein Moment der Stille. Zum Glück ist keiner großartig verletzt, doch die Sorge vor erneuter Eskalation ist groß.
Damit ist die Behandlung beendet. Die Besitzerin wird herausgebeten. Als ob ihr Lebensgefährte gewusst hätte, zu was sie fähig ist, machte er das Auto bereits für eine zügige Abfahrt bereit.
Die Geschäftsleitung und die Polizei werden informiert, sie raten zu einer Anzeige mit einem Hausverbot – gesagt, getan!
Was lehrt uns das?
Der Großteil der Besitzer ist nett, verständnisvoll und wertschätzend. Doch es braucht nur einen Menschen, der das alles zu Nichte macht. Die Kolleginnen sind geschockt.
Ist jemand verletzt? Nein. Keiner wird einen körperlichen Schaden davontragen. Doch wir sollten uns fragen, was in den Kolleginnen vor sich geht nach einem solchen Vorfall. Wir haben zuvor so oft weggesehen, nicht hingehört, versucht zu vergessen und verzeihen, denn: sie wussten es vielleicht nicht besser.
Aber in Wahrheit zerrt das an allen Kollegen/innen. Sie haben ihre Familie stehen lassen, obwohl sie vielleicht nicht mal mehr Dienst hatten. Sie haben Freunde versetzt und sich nicht um das eigene Wohlergehen gekümmert. Sie haben sich mehrmals nur an diesem Tag ungerechte Vorwürfe anhören müssen, waren bei jedem unnötigen Telefonat freundlich und zuvorkommend, immer lösungsorientiert und das Patientenwohl im Blick.
Doch zu viel ist zu viel. Können wir es all den Kollegen/innen verwehren, sich diesem psychischen Druck nicht mehr aussetzen zu wollen? Wir sprechen nicht über kritische Patienten, deren Ergehen einem mit nach Hause begleitet und auch mal die eine oder andere Nachtstunde kostet. Wir sprechen nicht über die Traurigkeit, die einen begleitet, wenn es ein Patient nicht schafft, obwohl man alles Menschenmögliche getan hat. Irgendwie müssen sie es dem Besitzer beibringen, dass sein Familienmitglied verstorben ist – die Traurigkeit und Verzweiflung, die wir zu 100% nachvollziehen können, lässt über vieles hinwegsehen.
Wir verstehen, wenn Menschen um ihre Lieblinge besorgt sind und haben bisher mehr als es vielleicht nötig war über ein Fehlverhalten hinweggesehen. Schließlich kann unser Patient nichts für seinen Besitzer.
Damit ist jetzt Schluss. Wenn wir nicht riskieren wollen, dass Niedersachsen eine weitere Klinik im Notdienst verliert, muss sich etwas ändern.
Solche Situationen kannten wir früher nicht, so etwas ist in 20 Jahren an diesem Standort nicht vorgekommen. Mit zunehmend angespannter Notdienstsituation zeigen sich mehr Menschen, die ihr Benehmen schlichtweg nicht im Griff haben.
Natürlich dulden wir keinen physischen Angriff auf unsere Mitarbeiter/innen. Dieser Fall hat gezeigt, wozu das führen kann, wenn wir nicht frühzeitig eingreifen.
Die allermeisten Besitzer bleiben bitte genauso, wie sie sind: freundlich und zugewandt. Doch werden wir keinen Platz für Unfreundlichkeit, Beleidigungen oder sonstige psychische Angriffe dulden.
Wir werden nicht zulassen, dass unsere Mitarbeiter/innen unter Druck gesetzt werden oder denen gedroht wird.
Für die, die das betrifft: Androhungen von schlechten Google Bewertungen, persönliche Hasstiraden in Facebookgruppen oder sonstige anonyme Bewertungsmöglichkeiten, um jemanden unter Druck zu setzen: unsere Mitarbeiter/innen sind nun stärker sensibilisiert worden sowas unter keinen Umständen zu akzeptieren oder es gar mit sich selbst auszumachen.
Unsere Mitarbeiter/innen sind unser höchstes Gut. Die allerbeste Klinikausstattung kann niemandem helfen, wenn kein Mitarbeiter dafür zur Verfügung steht.
Unfreundliche, provokative und aggressive Besitzer: Verinnerlichen Sie das. Ohne die Aufopferung des Mitarbeiters, der vor Ihnen steht, kann Ihr Tier nicht versorgt werden. Wenn Sie Ihr Benehmen nicht im Griff haben, ist in unserer Klink kein Platz für Sie! Vergessen Sie nicht: alle Notdienste in Deutschland laufen am Limit: Ihr Benehmen könnte dazu führen, dass ihr Tier eines Tages außerhalb der normalen Zeiten nicht mehr versorgt werden kann!
Den Notdienst aufrecht erhalten
So lange wir es zusammen schaffen den Notdienst aufrecht zu erhalten, werden wir weiterhin überdurchschnittliche Opfer bringen, um alle Patienten optimal versorgen zu können.
Wir möchten um jeden Preis vermeiden, dass solche Menschen einen Notdienst nicht mehr möglich machen.
Unsere Klinik bestreitet den Notdienst seit nun mehr als 30 Jahren. Trotz der kritischen personellen Situation in der Tiermedizin ist es uns ein persönliches Anliegen, unsere Patienten 24 Stunden am Tag versorgen zu können.
Das soll auch weiterhin so sein, helfen Sie uns dabei, dass es auch so bleibt!
Foto: Carsten Vogt